Quecksilber (Auszug)
1 INT. BADEZIMMER - TAG
GÜL (Mitte 40) steht in dem fensterlosen Raum. Grüne Kacheln. Wie ein Aquarium.
Das sirrende Licht lässt ihr Gesicht im Spiegel teigig aussehen. Sie schaut sich lange an.
Sie schaut in ihre Hand: darin liegt ein Pollen Marihuana.
Sie kippt die Hand und lässt die Droge ins Klo fallen.
Gül starrt in die Toilette, wie in einen Abgrund. Der Pollen treibt im Wasser.
Ihre Hand legt sich auf die Spülung––
2 INT. WOHNZIMMER – TAG
FÖNEN. Auf ihrem zugemüllten Couchtisch trocknet Gül das
nasse Gras mit einem kleinen Fön.
3 INT. WOHNZIMMER - SPÄTER
FRÖHLICH-EINTÖNIGE GAME-MUSIK. Rauch kräuselt in einer Glasbong. Auf einem Flatscreen hüpft Super Mario über Hindernisse und sammelt Bonusleben.
Gül spielt konzentriert. Sie drückt auf Pause. Stopft die Bong. Raucht.
Ihr Blick fällt auf die Uhrzeit auf ihrem Handy. 8:53
4 EXT. GÜLS HAUS - TAG
Gül hetzt aus der Tür. Mietshaus in der Neckarvorstadt.Sie sieht ihren Nachbarn MAURICE (36), ordentlich, nett, Ledertasche mit Regenbogen-Button. Er klappt seinen Tretroller auf.
GÜL
He! Maurice.
MAURICE
Gül.
Er steigt auf seinen Roller.
GÜL
Kannst Du mir den leihen? Ich
hab verpennt.
Maurice zögert.
GÜL
Ist echt wichtig.
MAURICE
Nimm doch die Bahn.
GÜL
Wenn die mich nochmal erwischen,
bin ich dran.
MAURICE
Dann kauf Dir eine Fahrkarte.
GÜL
Nö. ÖPNV sollte für alle umsonst
sein.
MAURICE
Soll ich Dir Geld leihen?
GÜL
Ich will keine Almosen.
Gül stellt sich direkt vor den Roller.
GÜL
Bitte. Hilf mir. Jetzt bin ich
noch später dran.
5 EXT. MANNHEIM - TAG
Gül rollert halsbrecherisch durch die Stadt. Am Wasserturm sieht sie DREI SECHSTKLÄSSLER einen Jungen herumschubsen. Es scheint niemanden der Passanten zu interessieren. Der Junge fällt hin. Die anderen bauen sich über ihm auf. Gül fährt hin.
GÜL
He! Geht’s noch?
Die Jungen lassen von ihrem Opfer ab, schauen sie an.
GÜL
Drei gegen einen? Was habtn ihr
fürn Problem?
SCHÜLER 1
Hau ab, büyükanne.
GÜL
Die büyükanne gibt Dir gleich
tokat.
.
SCHÜLER 2
Das ist Körperverletzung.
GÜL
Wow, Du bist Jurist? Erklär mal,
was hatter Euch getan?
SCHÜLER 1
Geht Dich nix an, Du Fotze!
Gül steigt vom Roller. Die drei Jungs rennen lachend weg. Sie hilft dem Herumgeschubsten auf die Füße.
GÜL
Das nächste Mal trittste denen in die Eier. Von mir gleich mit.
Und wennde schlägst, dann mit dem Ellenbogen. (sie tippt auf
ihren) Ist am Härtesten. Oder hau ihnen aufs Ohr, mit der flachen Hand.
Ansontsen beißen,kneifen, treten. Verkauf Deine Haut so teuer wie möglich, dann
überlegen die dreimal, ob sie dich wieder angreifen. Klar?
Der Junge nickt verunsichert.
6 EXT. TAGESKLINIK - TAG
Das Gebäude ist eingerüstet. Gül will den Roller zusammenklappen. Nach kurzen, aber intensiven Kampf gibt sie auf, manövriert das sperrige Gefährt mühsam durch die Drehtür.
7 INT. TAGESKLINIK EMPFANG - TAG
Hinterm Tresen sitzt eine Frau in Nonnentracht.
GÜL
Zur Tagesklinik, Schwester.
NONNE
Welche Station?
GÜL
Die für Druffis.
NONNE
Das ist die 32. Den Gang runter,
Fahrstuhl links, 2. Stock.5
8 INT. STATION 32 - TAG
Gül tritt aus dem Fahrstuhl. Niemand zu sehen. Sie geht durch den langen Gang. An den Wänden hängen wilde Bilder. Vorbei am Stationszimmer. Auch leer.
GÜL
Boah. Horrofilm.
Sie geht weiter, bis sie hinter einer Tür Stimmen hört. Sie atmet durch. Öffnet die Tür.
9 INT. STATION 32 GELBES ZIMMER - TAG
Stuhlkreis. 15 Augenpaare schauen Gül an. PATIENT:INNEN und DR HADERLE, FRAU POLCH, FRAU MIMIEUX.
GÜL
Ich bin Gül Schmelcher. Ich fang
heute meine Behandlung an. Tut
mir leid, wenn ich zu spät bin.
Sie hat noch immer den Roller im Arm. Die STATIONSLEITUNG, blaue Hornbrille, blondierte Stachelhaare:
FRAU POLCH
Anklopfen ist nicht in ihrem
Repertoire?
Gül klopft an die Tür.
Ein, zwei im Stuhlkreis grinsen. Einer findet es gar nicht lustig: FREDERICK (33), ein intensiver Typ in einem abgetragenen schwarzen Anzug. Güls Auftritt hat ihn offenbar unterbrochen.
FRAU POLCH
Wir starten um Neun. Suchen Sie
sich einen Platz.
Gül setzt sich, platziert den Roller an einem Stuhl.
FREDERICK
Also, wie ich eben schon gesagt
hab, ich––
LÄRM. Der Roller ist wegrutscht, auf den Boden geknallt. Die junge ÄRZTIN:
DR. HADERLE
Gül, warum sind sie hier?
Alle schauen Gül an. Frederick steht der Mund offen. Sein Blick spießt Gül auf. Dr. Haderle schaut ermunternd. Gül nimmt ihren Mut zusammen.
GÜL
Ich kiff seit über 20 Jahren.
Jeden Tag. Ich fang gleich
morgens an. Tütchen und Kaffee.
DR. HADERLE
Warum wollen Sie mit dem Konsum
aufhören?
GÜL
Weil‘s… nur noch Scheiße ist.
Vereinzeltes Kichern.
DR. HADERLE
Sie können offen sprechen.
GÜL
Ich stecke fest. Bei mir
funktioniert nix mehr. Außer
Sucht. Ich will ein anderes Leben.
DR. HADERLE
Gehen Sie einer Arbeit nach?
GÜL
Ich hab einen Job in Aussicht.
Als Fahrerin. Aber ich muss
Pinkeln, um meinen Lappen
wiederzukriegen.
DR. HADERLE
Was würde sich mit diesem Job
ändern für Sie?
GÜL
Ich hätte einen Grund morgens
aufzustehen.
DR. HADERLE
Ein erster Schritt in ein neues
Leben also.
GÜL
Ja. Aber ich habe schon x-mal
versucht aufzuhören. Alleine
schaff ich’s nicht.
Dr Haderle nickt verständnisvoll.
DR. HADERLE
Haben Sie heute Morgen schon konsumiert?
Bevor sie hergekommen sind?
GÜL
Nein.
Frederick rutscht unruhig auf seinem Stuhl hin und her.
DR. HADERLE
Danke Gül. Und danke Frederick
für Ihre Geduld. Sie verlassen
uns heute. Was nehmen Sie mit?
FREDERICK
Als ich ankam, da ging’s mir wie
ihr (nickt zu Gül). Noch viel
schlechter. Aber ich hab’s
geschafft. Ich bin absolut
abstinent. Und ich fühle mich
super. So gut wie noch nie.
DR. HADERLE
Das ist eine große Leistung.
Frederick nickt.
DR. HADERLE
Was geben Sie den anderen mit?
FREDERICK
Ich hab mir so ne Art Programm
ausgedacht. Sehr intensiv.
DR. HADERLE
Erzählen Sie.
FREDERICK
Nein.
DR. HADERLE
Warum nicht?
FREDERICK
Das ist sehr persönlich.
DR. HADERLE
Schade. Es könnte dem einen oder
der anderen helfen.
Frederick schaut skeptisch in die Runde. Sein Blick bleibt auf Gül hängen.
FREDERICK
Das ist nicht für jeden.